Ich mach die Welt, wie sie mir gefällt!
Fröhlich sitzt Oma am Küchentisch und will von ihrem „Urlaub“ erzählen. Während wir in Sommerurlaub waren, war sie zur Kurzzeitpflege in ihrer Lieblingseinrichtung. „Da ist immer ordentlich was los!“ strahlt sie und sucht nach Worten. Jeden Tag stehen ihr weniger Hauptwörter und Verben zur Verfügung, und nach zwei Wochen ist der Abbau besonders präsent.
Ich frage nach der Zimmernachbarin, ob die nett gewesen sei. „Jaa, jaja … die hat ja immer…also nicht auf dem Zimmer…“. Sie sucht verzweifelt nach Worten. Dann die erlösende Geste: zwei Finger an den Lippen. Geraucht? „Ja, das mein ich, sie hat viel geraucht, aber draußen.“ Es hat eine Weile gedauert, bis alle Informationen beisammen waren, aber seitdem steht die Geschichte. Interessanterweise vergisst sie sie auch nicht. Die Story:
Unter dem Deckmantel der vollstationären Pflegeeinrichtung befindet sich ein großer Schmuggelumschlagplatz. Nachts kommen Schiffe vorgefahren und liefern Schmuggelware. Viele Bewohner, aber auch einige Mitarbeiter sind involviert. Vor allem geht es um Zigaretten, aber auch andere Sachen. Wenn ich sie dann ungläubig ansehe und versuche, ihr etwas über Zigarettenverwaltung zu erzählen, werde ich zurechtgewiesen. Ihr Bericht kommt immer wieder, ohne nennenswerte Abwandlungen. „Die denken, ich bekomme das nicht mit…“ – und dann kommt dieser beschwichtigende Blick mit Nase nach oben und halbgeschlossenen Augen – „Ich weiß genau, was da Sache ist.“ Herrlich, ihre Wahrheiten machen den Alltag so viel bunter.
Ingrid ist so viel besser um sich zu haben, wenn man ihr das Gefühl gibt, selbständig zu sein. Es macht keinen Sinn, ihre Wahrheit zu hinterfragen. In vielen Fällen kostet es einfach nur etwas Gelassenheit. Manchmal geht es aber auch auf unsere Rechnung. Lustig ist diese Schmuggelgeschichte oder wenn sie meiner Schwägerin im Vertrauen erzählt, wir seien in einer Sekte und regelmäßig stehen Männer vor der Tür, um Geld abzuholen. Weniger lustig finde ich, wenn sie Unbekannten am Telefon erzählt, sie würde nur bei uns wohnen, weil wir alleine die Miete nicht aufbringen könnten und Hilfe bei der Erziehung unserer Kinder bräuchten. Ich bekam es zufällig mit und wollte im Anschluss wissen, wer am anderen Ende der Leitung war. Verlegen lachte sie mich an: „Das weiß ich auch nicht so genau, aber die kannte mich!“